KOLLEKTIV TURMSTRASSE – INTERVIEW

11. März 2012

„Wir haben unser seelisches Innerstes mit einer kleinen Rebellion nach aussen getragen.“


Wir haben Nico und Christian vom Kollektiv Turmstrasse anlässlich ihres Auftrittes in der Kulturfabrik Lyss (3. März 2012) getroffen und haben mit ihnen ein sehr interessantes und informatives Interview geführt.

Was sie uns über die stille Rebellion der Träumer, Ethik im Musikbusiness und ihrer Live-Performance erzählt haben, erfahrt ihr im folgenden Interview.

Hallo zusammen und herzlich willkommen in der Schweiz. Was bedeutet euch die Schweiz und welchen Bezug habt ihr zur Schweiz?

Nico: Wir sind relativ häufig in der Schweiz. Im Gegensatz zu den Schweizern, die die Deutschen nicht so mögen, mögen wir die Schweizer sehr gerne. Ein tolles Land!

Christian: Immer wenn die Schweiz in unserem Tourplan auftaucht, freuen wir uns sehr darauf.

Kennt ihr Schweizer Künstler bzw. nimmt man in Deutschland diese Künstler wahr?

Nico: Ja klar, zum Beispiel haben wir zu den Round Table Knights ein sehr gutes Verhältnis. (Die RTK sind am selben Event auch aufgetreten, Anm. d. Red)
Luciano kommt auch aus der Schweiz, den kennen wir auch. Man kriegt da schon viel mit.

Christian: Ich würde gar nicht so differenzieren, klar, die Schweiz ist die Schweiz und Deutschland ist Deutschland, aber die Szene ist eigentlich relativ verwachsen.

Wie lange arbeitet ihr an einem Track und wie schaut dabei der Prozess aus?

Nico: Wir arbeiten viel zu lange an einem Track, da ist so eine gewisse Selbstkritik, die man einfach hat. Wir gehen an die Sache immer so ran, dass wir nicht irgendwas veröffentlichen, sondern es hat bei uns immer einen gewissen Sinn. Ein Stück sollte für sich selbst stehen und nicht eine Kopie einer Kopie sein.

Lasst uns auf die Dauer zurückkommen, was heisst das konkret?

Nico: Das hängt ganz davon ab, manchmal kriegen wir Stücke in einer Woche fertig, aber es könnte durchaus sein, dass der Sketch, der im Song vorkommt, schon ein Jahr alt ist. Es gibt oft Ideen, die man über einen längeren Zeitraum entwickelt.

Christian: Wir machen seit über 15 Jahren Musik und wir haben dies ohne Druck und einfach aus Leidenschaft gemacht, wenn die Zeit und Lust da war. Klar, heutzutage sind wir professioneller, aber eigentlich haben wir die Arbeitsweise beibehalten.

Nico: Die Qualität setzt sich einfach durch, wenn du dir für deine Musik Zeit nimmst.

Wodurch und durch wen werdet ihr beeinflusst? Wie setzt ihr Einflüsse in Musik um?

Nico: Musik ist ja auch was emotionales, das hat immer mit der eigenen Identität und dem eigenen Befinden zu tun. Also wenn du gerade Liebeskummer hast, wird da sicher nicht der „Super-Happy-Track“ draus, sondern dann machst du eher ein Stück, das melancholischer ist.

Aber auch wenn du zuhause vor dem TV sitzt und man sieht einen tollen Spot und da ist dann einfach die Hintergrundmusik toll, die dich dann inspiriert, also da kann so echt alles inspirierend wirken.

Christian: Generell ist das schon sehr persönlich, also wir schrauben nicht einfach so an Tracks herum, in jedem Track steckt irgendwo eine eigene Erfahrung und etwas persönliches drin.

Mit wem möchtet ihr gerne einmal zusammenarbeiten und warum?

Nico: Wir haben mittlerweile das Glück, mit vielen Künstlern, die wir sehr schätzen, schon zusammengearbeitet zu haben. Ob es jetzt Leute waren, die für uns Remixe gemacht haben oder so, da gibt es auf jeden Fall einige.

Ich bin ein grosser Al Green Fan, aber so ein Soul-Sänger wird sich wahrscheinlich nicht mir abgeben, also auch wenn das ein Traum von mir wäre, aber das ist wohl niemand, der mit mir was machen würde. Im elektronischen Bereich ist es jedoch einfacher, den Kontakt herzustellen und dann vielleicht etwas zu machen.

In der elektronischen Musik kommen viele Musikstile zusammen, aber gibt es für euch Grenzen? Was würdet ihr nie machen?

Nico: Die ethischen Grenzen der Musik haben sich in den letzen Jahren extrem verändert. Anfang den 80er, wo Sampling im Hip Hop extrem aktuell war, so ist es im House/Technobereich momentan unglaublich trendy, sich an anderen Leuten einfach zu bedienen. Ich seh‘ das in gewisser Weise auch kritisch; ich mag das auch gerne, aber was wir persönlich versuchen nicht zu machen, sind einfach komplette Sachen zu übernehmen, die dann eigentlich deinem Stück nur den Stempel von dem anderen Stück aufdrücken.

Das ist halt auch eine psychologische Geschichte, der Mensch ist ein Gewohnheitstier, denn was er kennt, das mag er. So funktioniert das auch bei den Samples. Wir versuchen da einfach ein bisschen anders ranzugehen. Nicht, dass wir nicht sagen, Sampling ist scheisse oder so was. Wir versuchen es einfach auf eine kreative Art so zu machen, dass das Sample eher ein Teil von unserem Stück ist und nicht unser Stück ein Teil vom Sample.
Das ist so der Unterschied, wo wir uns Gedanken machen und nicht von irgendjemandem ein Sample nehmen, nur weil es gerade cool ist.

Christian: Das ist ja generell eine Respektgeschichte. Eigentlich gehört es ja dazu, wenn man Sachen benutzt, dass man den Künstler halt einfach fragt und sich die Erlaubnis dazu einholt.

Nico: Das ist aber nicht immer einfach, wir haben das auch beim Album gemerkt, da gab es auch Stücke, die Samples beinhaltet haben, wo wir aber versucht haben, die zu clearen. Aber man kommt halt auch oft gar nicht ran, zum Beispiel bei einem Al Green.

Stichwort Album: Euer Album heisst „Rebellion der Träumer“. Wovon träumt ihr?

Nico: Von dem, was auf dem Album ist. Also „Rebellion der Träumer“ ist nicht zuletzt ein Umriss von dem, was uns wichtig ist und da ging es ja in erster Linie um musikalische Träume. Uns war wichtig zu zeigen, dass wir breiter aufgestellt sind als nur auf dem Dancefloor. Und das war halt die Rebellion der Träumer, eine stille Rebellion sozusagen. Wir wollten ein Album zu machen, das nicht kommerziell erfolgreich und dancefloortauglich ist, sondern sehr leidenschaftlich. Wir haben unser seelisches Innerstes mit einer kleinen Rebellion nach aussen getragen.

Fiel euch die Entscheidung, voll auf die Karte Musik zu setzen, schwer? Diese Entscheidung will ja heute gut überlegt sein.

Nico: Mir fiel das nicht schwer, denn bevor das hier losging hat sich meine Perspektive sowieso in Richtung Musik entwickelt. Aber ich bin nicht davon ausgegangen, dass wir so erfolgreich werden wie jetzt und umherreisen können, aber ich habe mich schon in der musikalischen Laufbahn orientiert.

Christian: Alles was wir so machen ist eigentlich durchdacht, trotzdem war natürlich ein gewisses Risiko dabei. Aber es waren auch einfach glückliche Umstände dabei, dass wir die Chance hatten, es einfach mal zu probieren und schauen, was in den nächsten eineinhalb Jahren so passiert.
Das erste Jahr war zwar ein bisschen hart und schwer, aber dann ging es positiv bergauf. Wir sind an eine gute Agentur geraten und sind seit dem ersten Album nun schon im sechsten Jahr.

Ihr macht nicht die „typische“ Musik für Tanzflächen, es scheint aber trotzdem zu funktionieren. Wie erklärt ihr euch das?

Nico: Ja, denn „Rebellion der Träumer“ ist für eine Party ungeeignet. Für uns ist es einfach wichtig, live einen Teil des Albums zu repräsentieren. Das sind dann halt Dancefloor-Edits, die mit Four-on-the-Floor-Beats unterlegt sind, aber wo das Thema dann noch enthalten ist.

Es gibt aber auch Stücke auf dem Album wie z.B. „Heimat“, die auch schon Beats hatten, die dann aber ganz reduziert und ohne fette Bassdrum da waren. Die haben wir dann einfach für den Dancefloor angepasst, dass es dann da auch ein bisschen wummert. Wir haben ja auch einen Auftrag. Wir haben die Mission, die Leute im Club zum tanzen zu bringen und glücklich zu machen. Das machst du aber nicht mit „Rebellion der Träumer“, das ist was für zuhause.

Wir haben gerade über eure Liveperformance gesprochen, was macht ihr da ganz genau? Und was unterscheidet euch da von anderen DJs?

Nico: Ich möchte das vielleicht ein bisschen abschwächen, weil live ist nicht mehr so live, wie es vielleicht vor 5 Jahren war, wo wir mit einem Fuhrpark von Geräten aufgetreten sind. Wir beide sind technisch sehr engagierte Menschen, die sich nicht davor scheuen, einen Schritt nach vorne zu machen. Genauso machen wir das heute auch live, wir arbeiten heute halt eher in einer Digital Performance, das heisst, wir haben Ableton Live als Host-Sequencer, der sämtliche Spuren von allen Tracks enthält. Die können wir dann wahllos so arrangieren können, wie wir wollen.

Das hat natürlich weniger den Liveeinfluss, als wenn du mit der Drummachine den Beat direkt vor Ort machst. Wir haben auch den persönlichen Anspruch, dass es halt im Club genau so cool klingt wie auf der Platte. Das zwingt uns einfach auch dazu, Produktionsmittel zu benutzen, die entsprechend technisch besser sind als noch vor ein paar Jahren.

Christian: Die neuen Generationen und eure Altersgruppe setzen alle auf digitale Systeme und das ist auch gut so.

Nico: Ich wollte damit nur vermeiden, dass es halt diesen Streitfaktor gibt, weil letztes jemand meinte, dass wir ja gar nicht live spielen würden. Das ist vom Prinzip her richtig, weil live natürlich schon was mit Band und handgemacht zu tun hat. Aber ich denke, dass man das nicht mit elektronischer Musik, die ganz anders produziert wird, vergleichen kann. Daher machen wir eine Digital Performance, wo wir halt live arrangieren und live Stücke neu zusammensetzen, was genau so anspruchsvoll ist, wie die Gitarre zu spielen.

Welchen Auftritt werdet ihr nie vergessen? Wo war das und warum?

Nico: Oh, da gibt es einige. Für mich ganz spektakulär war das „Snowflake Openair Festival“ in Kanada, wo wir bei -20 Grad gespielt haben. Und da muss man sich die 10’000 Kanadier so vorstellen, dass die da im T-Shirt gefeiert und getanzt haben. Und da gibt es aber auch das andere: Am Sonntag auf den Dächern von New York, mit Sonnenuntergang auf die Skyline guckend zu spielen. Das war auch ein ganz hervorragendes Erlebnis. Aber genauso sind es auch kleinere Festivals oder Clubs, wo die Stimmung super ist und die Energie des Livesets so überschwappt, dass das Dach vom Club wegfliegt.

Was war der wesentliche Grund euer Label „Musik gewinnt Freunde“ zu gründen?

Christian: Wir probieren uns immer in allen Sachen aus, aber meistens nie mit einem Ziel. So war es auch beim Label. Wir hatten nicht den Plan, ein Label zu gründen, denn wir wollten einfach nur eine Platte machen. Uns haben einfach ein paar Abläufe interessiert und so haben wir von einem Kumpel das Geld geborgt, um das Ganze auf die Beine zu stellen. Bald kamen dann die wenigen Platten, die eigentlich nur für Freunde gedacht waren, in die Hände von Vertrieben. Die fanden ganz toll, was wir gemacht haben und haben uns darauf mit Anfragen bombardiert. Eigentlich wurden wir da mehr so reingedrückt („Jetzt macht doch mal n’Label.“). Dann hatten wir auf einmal ein Label, wir hatten aber keine Ahnung wie man ein Label führt und was für Steuern man zahlen muss, aber wir hatten ein Label. Das war aber auch wieder so eine glückliche Geschichte.

Was darf man in Zukunft von euch erwarten? Habt ihr schon konkrete Pläne?

Nico: Ohne jetzt zu viel sagen zu wollen, aber wir haben in diesem Jahr wieder extrem viele Pläne. Es wird sicherlich dieses Jahr einige Platten und Remixe geben. Wir planen auch was in Richtung Album, dazu gibt es aber nichts Handfestes. Es ist auf jeden Fall das Ziel, in diesem Jahr damit anzufangen, aber das wird dann auch frühstes nächstes Jahr fertig. Pläne sind eine ganze Menge da, wir wollen natürlich die Leute wieder mit neuen Platten begeistern.

Kommen wir nur zur Abschlussfrage: Das Kollektiv Turmstrasse wurde ja aus einer Wohngemeinschaft gegründet. Habt ihr Tipps für das Leben in einer WG?

Chrstian: Pünktlich Miete zahlen ist superwichtig. Aber eigentlich kann man da keine Tipps geben, die Erfahrung muss einfach jeder selbst machen. Ich habe bis vor einem Jahr noch in einer WG gelebt und muss sagen, es war eine tolle Zeit. Klar, es gibt bessere und schlechtere Zeiten und man muss sich halt auch die richtigen WG-Partner aussuchen. Es würde wahrscheinlich nicht hinhauen, wenn wir mit Jurastudenten zusammenwohnen würden.

Nico: Geduld ist eine Tugend. Und das Wichtigste: Respektvoller Umgang miteinander.

An dieser Stelle möchten wir uns bei Nico und Christian ganz herzlich für das tolle Interview bedanken. Wie wir Schweizer sagen würden: „Merci vielmal.“

Ebenfalls ein grosses Dankeschön an Dominik, Simon und Jan von Pleasure Lab und auch an Nicolas fürs fotografieren, you all keep it real!

Interview: Patrick & David
Fotos:  © by Pleasure Lab

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rebellion-der-traeumer.de

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